Das geltende Recht ist eines der konstituierenden Merkmale unserer Gesellschaft. Von der Mietwohnung bis zur Bahnfahrt, von der Universität bis zum Behördengang – rechtliche Regelungen sind allumfassend und bestimmen, zumindest im Hintergrund, unseren Alltag. Unabhängig von unserem Willen und Bewusstsein formen sie um uns ein komplexes normatives Gerüst.
Institutioneller Rassismus reicht vom Verhalten der Staatsanwaltschaften im sog. ‚NSU-Prozess‘, dem Umgang von neuen Erkenntnissen im Fall des im Polizeigewahrsam getöteten Oury Jalloh oder von rassistisch motivierten Kontrollen im öffentlichen Verkehr, bis hin zu alltäglich erlebtem Rassismus bei Behördengängen denen sich Menschen mit Migrationshintergrund ausgesetzt sehen. Eine kritische Aufarbeitung ist daher sowohl aus institutioneller als auch aus einer subjektiven Perspektive notwendig.
Zum einen bedeutet eine kritische Auseinandersetzung, sich in diesem Zusammenhang mit der Frage nach Inhalt und Form des Rechts sowie seinen gesellschaftlichen Ursachen zu beschäftigen. Zum anderen besteht die Herausforderung darin, die bestehenden rassistischen Praktiken sichtbar zu machen und gemeinsame Strategien zu entwickeln, wie man diesen begegnen kann.
Da für uns das eine nicht ohne das andere denkbar ist, werden wir in unserem Panel eine kritische Betrachtungsweise des Rechts mit Rassismuskritik verbinden. Die verschiedenen Inputs von unseren Referent*innen werden uns hierbei als Grundlage dienen gemeinsame Handlungsansätze zu erarbeiten.
Wir freuen uns auf einen produktiven Austausch auf Augenhöhe. Also kommt zahlreich vorbei und bringt euch ein!
Kontakt: Matthias Jakubowski (tiis@posteo.de)
The NSU-Tribunal and the perspective of the victims. Solidarity beyond paternalism and identity politics
Ibrahim Arslan, Massimo Perinelli
Der Workshop findet in deutscher Sprache statt
Als der NSU in den 2000er Jahren neun vermeintlich nicht-deutsche Männer ermordete und mehrere Sprengstoffanschläge gegen migrantische Einrichtungen und Orte verübte, war die türkische Community in Deutschland terrorisiert. Die Angriffe auf die Hinterbliebenen und ihr soziales Umfeld wurde nach den Morden und Anschlägen von den ermittelnden Behörden, den Politiker*innen und den Medien fortgesetzt, in dem sie aus den Opfern Täter machten und diese stigmatisierten. Der Aufschrei der Betroffenen – dass es sich um eine rassistische Mordserie handeln müsse, und dass der Staat mit drin hänge – wurde totgeschwiegen, ignoriert oder von linker Seite als Verschwörungstheorien abgetan. Auch nach der Selbstenttarnung des NSU konzentrierte sich die Linke auf den Komplex Neonazis und Staatsversagen, während die Betroffenen nur als passive Opfer Erwähnung fanden.
Diese rassistische Spaltung der Gesellschaft war und ist die Bedingung für rechten Terror. Die Betroffenen dieser Gewalt haben seit Jahren gesagt, dass das Problem hinter dem NSU-Komplex Rassismus heißt. Sie haben sich organisiert und mit solidarischen Menschen ein Tribunal organisiert, wo ihr migrantisch situiertes Wissen zentral gestellt und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Jenseits von Identitätspolitiken, Supporterelend und Staatsfixierung wurde ein methodologischer Dreiklang entwickelt, der die unterschiedlichsten regionalen, generationalen und ideologischen politischen Spektren im Feld des Antirassismus zusammenführen konnte. Aus der Perspektive der Betroffenen wurden die Möglichkeiten einer solidarischen Arbeit entwickelt, die sowohl den spezifischen Rassismuserfahrungen gerecht wurde, die dennoch die Täter benannte und die die Stärke einer postmigrantischen Gesellschaft der Vielen demonstrieren konnte.
Ibrahim Arslan wird in dem Workshop von der Solidarität berichten, die Betroffene als Hauptakteure der Erinnerungsarbeit mit der Zivilgesellschaft geübt haben.
Massimo Perinelli wird den antirassistischen Dreiklang des Tribunals erläutern als eine Erfahrung gelungener Solidarität, die wir für künftige Kämpfe benötigen.
Kontakt: massimo.perinelli@rosalux.org