Auch zwei Jahre nach dem „Sommer der Migration“ ist seine Gegenwärtigkeit ungebrochen – es ist jedoch die politische Rechte, die derzeit den Ton angibt und die öffentlichen und medialen Dynamiken bestimmt. In vielen Ländern Europas sind rechtspopulistische und autoritäre politische Bewegungen auf dem Vormarsch – ein Phänomen, das sich nicht nur auf EU-Mitgliedsstaaten beschränkt. Gleichzeitig sind die Bewegungen der Migration durch massive Entrechtungspolitiken und Maßnahmen des Encampments eingehegt worden. Wir erleben in diesem Zusammenhang eine aggressive neokoloniale Ausweitung des europäischen Grenzregimes bis weit in die afrikanischen Staaten hinein, die auf eine neue Entgrenzung von Grenzkontrollapparat und Militär setzt. Innenpolitisch wird das Regime von einer Screeningbürokratie ergänzt, die Unsicherheit und Angst stiftet und auf Dauer stellt. Wer vorerst bleiben darf, hat sich einem unnachgiebigen Integrationsimperativ zu unterwerfen; wer gehen muss, ist mit einem rigiden Abschiebesystem konfrontiert.
Dabei stellen sich für linke Bewegungen neue Herausforderungen. Zum einen hinsichtlich der - von einem unmissverständlich transnationalen Standpunkt ausgehenden – neuerlichen und erneuerten Kritik der europäischen Politiken, die derzeit in öffentlichen Diskursen vor allem von autoritären, rechtspopulistischen und oftmals anti-europäischen Bewegungen vorgetragen wird. Damit einher geht die Suche nach Umgangsformen mit den Mehrfachkrisen, die bisher vor allem Angst, Unzufriedenheit und Hass nähren und diese auf die vermeintliche Gefahr durch Fluchtmigration projizieren. Hierbei geht es vor allem um ein neues Verständnis der sozialen Frage, die sich in diesem Zusammenhang als versteckte und in ihrer globalen Dimension auch von vielen Linken als unbegriffene zeigt.
Zum anderen ist die Frage der Migration augenscheinlich zur Gretchenfrage der europäischen Linken geworden. Einerseits sind in den vergangenen zwei Jahren eine Vielzahl solidarischer Bewegungen und Initiativen entstanden und autonome Praktiken entwickelt worden, die sich als Neue Politiken der Solidarität dem proklamierten Notstand widersetzen und sich nicht von institutionellen Politiken abhängig machen. Andererseits wird am Verhalten etablierter Akteure der politischen Linken deutlich, dass sich der Konflikt um diese Solidaritäten nicht nur zwischen Staat und Bewegungen, sondern auch quer durch die europäische Linke zieht.
Aus diesem Grund scheint uns für das kommende kritnet Treffen die Frage danach, wie sich neue Solidaritäten transeuropäisch, transnational und lokal entwickeln, und welche Perspektiven sie eröffnen, die entscheidende zu sein. Welche Entwicklungen zeigen sich wo, die den herrschenden Nützlichkeitserwägungen und ökonomischen Appellen in der Migrationspolitik eine Alternative entgegenhalten? Welche transnationalen Solidaritäten entstehen im Zuge der verstärkten Migrationsbewegungen und gegen das Erstarken des Grenzregimes der vergangenen Jahre? Welche Perspektiven ergeben sich aus diesen Entwicklungen? Welche alternativen Konzepte können dem Integrationsparadigma entgegengesetzt werden? Welche Formationen der Demokratisierung und Teilhabe haben sich ergeben, in denen sich Netzwerke sozialer Sicherung etabliert haben, die jenseits nationalstaatlich ökonomistisch-meritokratischer Angebote operieren?
Diese und andere Fragen möchten wir diskutieren und dabei entlang verschiedener Spots des Grenzregimes aufzeigen, welche Herausforderungen und Neuen Solidaritäten sich entwickelt haben.